Felipe Pasini und Dayana Andrade sind auf syntropische Landwirtschaft spezialisiert und haben dazu fast zwei Jahrzehnte Erfahrung in den Bereichen Forschung, praktische Umsetzung und Wissensvermittlung. Felipe Pasini hat einen Master in Umweltwissenschaften, Dayana Andrade hat an der Bundesuniversität in Rio de Janeiro in Umweltwissenschaften und Naturschutz promoviert. Gemeinsam haben sie das Buch "Vida em Sintropia", auf Deutsch "Leben in Syntropie" geschrieben (erhältlich auf Portugiesisch, Italienisch und Französisch). Aktuell arbeiten sie in Portugal zum Thema syntropische Landwirtschaft.
Könnt ihr kurz erklären, was syntropische Landwirtschaft ist? Wie lässt sie sich mit biologischer und biodynamischer Landwirtschaft vereinbaren?
Dayana Andrade: Syntropische Landwirtschaft ist eine Form der Agroforstwirtschaft, die sich an drei Prinzipien orientiert: Stratifizierung (Anordnung von Pflanzen auf verschiedenen Ebenen), ökologische Sukzession (Anordnung von Pflanzen im zeitlichen Verlauf) und Syntropie (die Tendenz lebender Systeme, Energie und Komplexität anzusammeln). Auch wenn die syntropische Landwirtschaft nichts mit Anthroposophie zu tun hat, teilt sie wichtige Merkmale mit der biodynamischen Landwirtschaft: Beide betrachten den landwirtschaftlichen Betrieb als einen Organismus, dessen Gesundheit von internen Wechselwirkungen und Prozessen abhängt. Und beide lehnen synthetische Betriebsmittel ab, ebenso wie die organisch-biologische Landwirtschaft
Was hat euch dazu inspiriert, euch mit syntropischer Landwirtschaft zu beschäftigen und wie hat sich eure Motivation im Laufe der Jahre entwickelt?
Felipe Pasini: Unser Interesse daran wurde geweckt, als wir den Betrieb von Ernst Götsch in Brasilien besucht haben, dem Entwickler dieses Konzepts. Die dortige Umwandlung von degradiertem Weideland in produktiven Wald hat uns beeindruckt - und das innovative ökologische Denken, das hinter seinen Praktiken steckt.
Dayana Andrade: Über die Jahre haben wir uns dann zwischen den Bereichen Forschung, Feldarbeit und Wissensvermittlung hin- und herbewegt. Die Ideen mit unseren eigenen Händen auszuprobieren und dann damit an die Öffentlichkeit zu gehen, war unsere Art, kontinuierlich zu lernen.
Wie kann syntropische Landwirtschaft aus eurer Sicht zur Eindämmung des Klimawandels beitragen oder zur Anpassung daran?
Dayana Andrade: Was die Anpassung angeht, so stärken syntropische Systeme die Widerstandsfähigkeit. Sie gewährleisten das ganze Jahr über Artenvielfalt auf mehreren Ebenen, eine permanente Bodenbedeckung und eine auf maximale Photosynthese ausgerichtete Bewirtschaftung. Diese Kombination verbessert die Wasserspeicherkapazität, puffert Temperaturextreme ab und verringert so das Risiko von Ernteausfällen.
Was die Eindämmung des Klimawandels betrifft, so zeigen Analysen, dass diese Systeme als starke Kohlenstoffsenken wirken. Eine hohe Biomasseproduktion, intensiver Baumschnitt und ligninreiches Material führen zu einem stetigen Anstieg der organischen Substanz und des Humusgehalts im Boden. Über den Kohlenstoff hinaus beeinflussen die komplexen, geschichteten Ökosysteme den Wasserkreislauf – nicht nur lokal, sondern auch auf Landschaftsebene, indem sie Feuchtigkeit in die Kontinente ziehen, wie die Biotic Pump Theory erklärt. Dies ist von grosser Bedeutung, da es zeigt, dass wir für eine klimafreundliche Landnutzung nicht umhinkommen, mit ökologischer Komplexität zu arbeiten.
Könnt ihr Beispiele aus eurer Arbeit nennen, bei denen syntropische Praktiken dazu beigetragen haben, degradierte Böden wiederherzustellen oder Landwirt*innen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen?
Felipe Pasini: In Lateinamerika, insbesondere in Brasilien, gibt es viele dokumentierte Beispiele. In Europa sind die Ergebnisse auf degradierten Flächen sehr gut. Wir haben ein vierjähriges Projekt in Süditalien durchgeführt, das zu messbaren Verbesserungen geführt hat. In Spanien zeigt das Landwirtschaftsprojekt La Loma Viva wie Landwirtschaft bei Wasserknappheit funktionieren kann und in Portugal werden die Betriebe Mértola und Casa Mendes Gonçalves, wo wir aktuell arbeiten, zu nationalen Vorzeigeprojekten.
Wie messt ihr die langfristige Widerstandsfähigkeit syntropischer Systeme unter verschiedenen geografischen und klimatischen Bedingungen – von Brasilien bis Europa?
Felipe Pasini: Auch wenn es in der syntropischen Landwirtschaft für jedes Klima andere Pflanzenarten und Designs braucht, sind die zugrunde liegenden Prinzipien und die Ergebnisse ähnlich. Wir beobachten einen Anstieg der organischen Substanz im Boden, stabile Temperaturen am Boden und im Baumkronenbereich, eine verbesserte Wasserspeicherung und eine höhere Nährstoffverfügbarkeit. Mit der Zeit sinkt der Bedarf an Bewässerung und Düngung, da die Systeme so stabil werden, dass sie sich selbst tragen.
Welchen Rat würdet ihr Landwirt*innen oder politischen Entscheidungsträger*innen geben, die zögern, syntropische Praktiken als Instrument zur Anpassung an den Klimawandel einzusetzen?
Dayana Andrade: Die Ängste vor dem Neuen müssen durch Lernen und Ausprobieren überwunden werden. Landwirt*innen sollen klein anfangen, zumal die Lernkurve steil ist. Politiker*innen sollten nach Vorreiter*innen suchen, die grundlegende Veränderungen umsetzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass landwirtschaftliche Praktiken eine kollektive gesellschaftliche Entscheidung widerspiegeln. Veränderungen erfordern gleichzeitiges Handeln aller Sektoren: von Produzent*innen und Konsument*innen, der ländlichen und urbanen Bevölkerung, von traditionellem und akademischem Wissen, sozialen Organisationen und Regierungen.
Was sind eure nächsten Schritte mit der syntropischen Landwirtschaft?
Felipe Pasini: Wir sind kürzlich nach Portugal gezogen, um mit Casa Mendes Gonçalves zusammenzuarbeiten, einem Lebensmittelunternehmen, das Szenarien für die Transformation seiner Lieferkette entwickelt. Ihre sechs Jahre alten Agroforstsysteme zeigen grosses Potenzial. Über die Stiftung Mendes Gonçalves entwickeln wir Schulungsmaterialien und unterstützen Agroforstprogramme an öffentlichen Schulen.
Interview: Lin Bautze-Boeke, FiBL