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"Die Bodenqualität steht durch Wetterextreme vermehrt unter Druck"

Stimmen zum Klima

Markus Steffens und Hans-Martin Krause sind beide langjährige FiBL Forscher im Departement für Bodenwissenschaften und leiten gemeinsam die Gruppe "Bodenfruchtbarkeit und Klima". Markus Steffens ist zudem Dozent im Fach Bodenkunde an der Universität Bern. Hans-Martin Krause leitet seit letztem Jahr am FiBL den DOK-Versuch, der seit über 40 Jahren biologische und konventionelle Anbausysteme vergleicht, und lehrt an der Justus-Liebig-Universität in Giessen im Fach Bodenfruchtbarkeit.

Sie beide forschen seit Jahren am Thema Boden und Klima. Was treibt Sie an und wieso?

Hans-Martin Krause: Angefangen habe ich am FiBL 2013 mit Messungen von Lachgasemissionen, um zu verstehen, wie die mikrobiellen Prozesse im Boden funktionieren. Daraus entstand das Interesse an mikrobiellen Gemeinschaften und dem Vergleichen von unterschiedlichen Landwirtschaftssystemen. Für mich ist klar: Wir können viele Probleme lösen, indem wir Dinge einfach nicht tun. Aber beim Essen geht das nicht – wir müssen produzieren. Und zwar so, dass es verträglich für Umwelt und Klima ist. Deshalb forsche ich zum Boden: Er ist das Fundament.

Markus Steffens: Ein altes Sprichwort sagt: "Wes' Brot ich ess', dess' Lied ich sing". Wir alle essen Brot, dessen Getreide auf einem Boden gewachsen ist – aber kaum jemand redet über ihn. Dabei ist der Boden die Basis für unsere Nahrungsmittelproduktion. Seit 2004 arbeite ich zu den Themen Boden, Kohlenstoff und Klima, seit 2017 am FiBL. Mich fasziniert, wie sehr Humus nicht nur für Klima und Produktivität, sondern auch für Biodiversität entscheidend ist.

Welche Rolle spielt der Boden denn konkret im Klimawandel?

Hans-Martin Krause: Böden haben viele Funktionen: Sie regulieren Stoffkreisläufe, speichern Wasser, bieten Lebensraum und sichern die Lebensmittelproduktion. Aber das funktioniert nur, wenn die Bodenqualität stimmt. Doch genau diese steht vermehrt unter Druck: Hitze, Austrocknung und Extremwetter verringern die Pufferkapazität der Böden. Ohne ausreichende Bodenqualität verlieren wir zentrale Funktionen.

Markus Steffens: Wir können unsere Böden managen – bis zu einem gewissen Grad. Aber durch den Klimawandel verändern sich ihre Eigenschaften grundlegend. Wichtigster Hebel ist der Kohlenstoff. Humusaufbau oder zumindest dessen Stabilisierung auf einem guten Niveau hilft, die Produktion in Zeiten des Klimawandels resilienter zu machen und kann auch ein wenig zu dessen Minderung beitragen.

Immer wieder gibt es Kampagnen, die für eine klimafreundliche Landwirtschaft durch bodenlose Systeme wie Hydroponik werben. Ist dies eine zukunftsfähige Lösung für die Klimaemissionen der Landwirtschaft?

Markus Steffens: Nicht wirklich. Auch in 75 Jahren werden 80 bis 90 Prozent der weltweiten Nahrungsmittel auf Böden produziert werden. Hydroponik mag für Spezialkulturen wie Kräuter oder Tomaten bedingt Sinn machen, aber nicht für die Ernährungssicherung oder Landschaftspflege und den Landschaftsschutz.

Derzeit sind je nach Berechnung bereits bis zu 75 Prozent unserer weltweiten Böden degradiert. Ackerflächen werden immer weniger und stehen unter enormem Produktionsdruck. Welche Massnahmen braucht es, um Böden klimaresilienter zu machen?

Markus Steffens: Mehr Kohlenstoff in die Böden – das ist die Basis. Die steigenden Temperaturen beschleunigen den natürlichen Abbau des vorhandenen Humus. Daher werden wir den Eintrag an organischer Substanz in den nächsten Jahren weiter steigern müssen, nur schon, um das aktuelle Niveau zu halten.

Hans-Martin Krause: Und systemischer denken, weniger ökonomischer Druck, mehr Raum für Experimente. Praktiken aus dem Biolandbau wie Kompostierung, Untersaaten oder Mischkulturen können helfen, Humus und damit Kohlenstoff im Boden anzureichern und die Resilienz zu stärken. Im DOK-Langzeitversuch haben wir gesehen, dass die Landwirtschaftssysteme mit Kompostierung mehr Humus enthalten und eine bessere Bodenstruktur aufweisen.

Ist das also auch eine soziale Frage? Warum fällt es Gesellschaft und Politik so schwer, den Wert des Bodens zu erkennen und entsprechend zu fördern?

Hans-Martin Krause: Weil Veränderungen im Boden extrem langsam sind. Selbst für Landwirt*innen, die direkt damit arbeiten, ist es manchmal schwer zu beurteilen, ob sich die Qualität verbessert oder verschlechtert. Ein Boden baut sich über Jahrtausende auf, aber sein Zustand kann innerhalb weniger Jahre durch schlechte Bewirtschaftung deutlich verschlechtert oder durch einen Starkniederschlag komplett weggespült werden.

Markus Steffens: Und die meisten Menschen haben gar keinen Bezug zum Boden. 99 Prozent sehen unsere Böden und deren Vielfalt gar nicht.

Gab es denn für Sie Momente, wo Sie klar erkannt haben, was der Boden für eine wichtige Bedeutung hat?

Hans-Martin Krause: Ja, während meiner Studienzeit in Venezuela. Auf 3000 Metern Höhe haben die Spanier vor Jahrhunderten steile Hänge für Weizen gepflügt. Innerhalb weniger Jahrzehnte waren die ehemals kohlenstoffreichen Böden zerstört. Bis heute sind es degradierte Flächen. Da wurde mir klar: Falsch bewirtschaftet kann Boden in kürzester Zeit verloren gehen.

Markus Steffens: Bei mir war es während des Studiums. Als wir Bodenprofile ausgegraben haben, habe ich zum ersten Mal gesehen, wie unterschiedlich Böden sind. Es gibt nicht "den" Boden, sondern viele. Nur wenn man diese Unterschiede versteht, kann man Böden schützen und nachhaltig nutzen.

Was wären Lösungsansätze, um Menschen den Wert von Böden wieder näherzubringen?

Markus Steffens: Man schützt, was man liebt – wir müssen die Menschen für die Leistungen der Böden, aber auch für die Gefahren sensibilisieren.

Hans-Martin Krause: Es wäre sehr hilfreich, wenn alle Menschen mehr Bezug zur praktischen Landwirtschaft hätten. Das würde das Bewusstsein enorm verändern. Für zukünftige politische Entscheidungen wünsche ich mir, dass der Boden nicht nur als reine Produktionsfläche gesehen wird. Er erfüllt so viele weitere Funktionen: Wasserregulierung, Lebensraum, Kohlenstoffspeicher. Und bei politischen Programmen zum Bodenschutz ist die Gefahr gross, dass davon nur einzelne Aspekte herausgepickt werden.

Markus Steffens: Ich wünsche mir, dass wir lernen, mit dem Boden als Partner umzugehen. Dazu gehört, dass wir weniger verschwenden, besser verteilen und die Eigentumsrechte überdenken. Der Boden ist eine endliche Ressource – und er gehört nicht nur den Besitzenden, sondern uns allen.

Interview: Lin Bautze, FiBL

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