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"Das ganzheitliche Verständnis ist eine Stärke des Biolandbaus"

Stimmen zum Klima

Zwei der Forschenden, die sich am FiBL tiefgreifend mit dem Thema Klima befassen, sind Lin Bautze und Raphaël Charles. Lin Bautze hat Umwelt- und Ressourcenmanagement sowie Global Change Management studiert und arbeitet am FiBL in der Gruppe Bodenfruchtbarkeit & Klima. Raphaël Charles ist Agronom und Ackerbauexperte und leitet das Departement Westschweiz.

Das Klima ist ein wichtiges Themenfeld am FiBL Schweiz. Wo liegt der Fokus? 

Lin Bautze: Wir haben viel darüber diskutiert, ob der Fokus zukünftig auf Klimaanpassung oder Klimaschutz oder beides gelegt werden soll. Klimaresilienz ist die Kombination von beiden. Du kannst keinen Klimaschutz machen, ohne nicht auch die Klimaanpassung mitzudenken. Andersrum gilt dasselbe.

Raphaël Charles: Es wurde in den letzten Jahren am FiBL sehr viel zu Emissionen gearbeitet. Jetzt wollen wir aktiver werden Richtung Anpassung, also Resilienz im Sinne von Anpassung.

Neue Frage: und was bedeutet das konkret?

Lin Bautze: Die Entwicklung neuer resilienter Anbausysteme, Forschung zum Thema Wasserzyklus und Wassernutzungseffizienz, Ausbau, Analyse und Erforschung von kombinierten Flächennutzungen – also alles, was Landwirtschaft und Energieproduktion zusammenbringt –, die Entwicklung von emissionsarmen Produktions- und Ernährungssystemen sowie Unterstützung und Daten zur Weiterentwicklung der nationalen und internationalen Klimapolitik.

Wie sieht es auf der internationalen Ebene aus? 

Lin Bautze: Wir haben gute Kontakte zu den Agrarpolitik-Spezialist*innen von wichtigen internationalen Klima-Institutionen. Auch in unseren afrikanischen Projekten gibt es viele starke Akteur*innen. Und in Europa sind wir sehr gut vernetzt über grosse Klimaprojekte wie ClieNFarms, Climate Farm Demo und OrganicClimateNET, bei denen das FiBL die Perspektive des Biolandbaus einbringen kann.

Raphaël Charles: Und wir arbeiten eng mit FiBL Frankreich in der südfranzösischen Region Drôme zusammen. Dort findet man unser Klima von morgen. Einen solchen Standort im Ausland, der unsere Klimazukunft aufzeigt, hat im Schweizer Landwirtschaftssektor sonst niemand.  

Wie steht es mit der Finanzierung von Klimaprojekten in der Landwirtschaft?

Lin Bautze: Es gibt Bereiche, die aus meiner Sicht ein grosses Potenzial hätten für Klimaanpassung, in denen noch nicht genug Fördermittel zur Verfügung stehen. Ich denke etwa an Agroforst, Syntropie und andere komplexere landwirtschaftliche Systeme. Eine Finanzierungslücke besteht sicher auch im Bereich Wissenstransfer in die Praxis.

Raphaël Charles: In den Kantonen gäbe es dank den Klimaaktionsplänen zusätzliche Mittel. Deren Nutzung entspricht aber oft nicht unseren Vorstellungen. Man baut Betonbecken und pumpt Wasser aus den Seen, um Kartoffeln zu bewässern. Aber kaum jemand befasst sich mit dem Wasser als Ressource, dem Wasserzyklus oder neuen resilienten Anbausystemen.

Lin Bautze: Hier geht es auch um das Narrativ: Möchten wir im Bereich Klima die landwirtschaftliche Produktion, die wir jetzt haben? Dann brauchen wir Massnahmen, die Systeme möglichst wenig verändern, z. B. Betonbecken. Oder sind wir bereit, die Landwirtschaft als ganzheitliches System anzuschauen und zu fragen, wie können wir sie zukunftsfähig machen? Das kann eben ein Umstellen oder Umstrukturieren bedeuten, dass, wie jetzt gerade im deutschen Freiburg, Olivenbäume gepflanzt werden. Oder Bäume und Hecken neu in die landwirtschaftliche Produktion integriert werden.

Rutscht beim Anbau einfach alles Richtung Norden?

Lin Bautze: Die Auswirkungen des Klimawandels sind in der Schweiz in puncto Erwärmung und Niederschlagverschiebungen regional sehr unterschiedlich. Gleichzeitig haben wir es immer noch in der Hand, wie extrem sich der Klimawandel auswirkt, ob wir es schaffen, bestimmte Emissionen auch jetzt noch zu reduzieren. Deshalb kann man das nicht so pauschal sagen.

Welche Kulturen werden in Hinblick auf den Klimawandel für die Schweiz interessant?

Raphaël Charles: Landwirte machen Versuche mit Zuckerrüben auf Alpflächen. Wenn es dieses Jahr klappt, werden im nächsten Jahr schon fünf Hektaren Zuckerrüben auf der Alp wachsen. Dort gibt es auch gute, ackerbaulich bisher nicht genutzte Böden und genug Wasser. Die Böden im Tal sind zunehmend zu trocken.

Lin Bautze: Es gibt aber auch Tücken. Hirse ist ein gutes Beispiel. Eine Zeit lang haben viele Betriebe neu Hirse angebaut. Doch der Absatzmarkt ist noch nicht genügend da.

Raphaël Charles: Ein weiteres Beispiel sind Kichererbsen, in den letzten beiden feuchten und kühlen Jahren hatten einige Betriebe Totalausfälle. Der Klimawandel ist ein Prozess, wir haben nicht einfach plötzlich eine um 1,5 Grad höhere Durchschnittstemperatur.

Wie könnte man die Konsument*innen zu klimafreundlicherem Konsum bewegen?

Lin Bautze: Ich glaube, für Konsument*innen ist es derzeit superschwierig zu verstehen, was eine klimaangepasste Ernährung ist. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit der Tierhaltung. Ich habe immer gelernt: Reduktion von tierischen Lebensmitteln ist das Ziel. Für die Schweiz müsste es aber eher heissen: Förderung von graslandbasierter Tierhaltung, weil wir hier die an sich klimafreundliche Ressource Grasland haben, die es zu nutzen gilt.

Wie verändert der Klimawandel die Arbeit auf dem Betrieb?

Raphaël Charles: Es wird eine grosse Umstellung geben bei der Art und Weise, wie gearbeitet wird. Du fängst um 4 oder 5 Uhr morgens an, obwohl du keine Tiere mehr hast. Im Bio gibt es viel Handarbeit. Jäten kannst du vielleicht noch zwei, drei Stunden am Morgen, weil es während des Tages zu heiss dafür ist, draussen zu arbeiten. Hier stellt sich dann auch die Frage, was eine gute Grösse für einen Biobetrieb ist.

Was ist denn eine gute Grösse?

Lin Bautze: Es gibt nicht die eine Grösse. Es hängt davon ab, welche Kulturen du anbaust, was dein Fokus ist, wie viele Personen mitarbeiten, in welcher Region dein Betrieb liegt. Egal, ob bio, biodynamisch oder konventionell, musst du schauen, was du mit den äusseren Bedingungen, die du hast, umsetzen kannst.

Was sollte die Rolle des Staates sein in diesem Ganzen?

Raphaël Charles: Der Staat muss dafür sorgen, dass die zukünftigen Bedingungen eine humanbasierte Landwirtschaft erlauben: gute Böden, Diversifizierung, etc. Der Detailhandel geht in die falsche Richtung, weil dort die Spezialisierung gefördert wird, das entspricht nicht der Anpassung, die die Landwirtschaft machen müsste. Der Staat muss sich dafür einsetzen, dass auch für kleinere Posten/Mengen/Chargen und Produktionen gute Preise bezahlt werden, statt einfach zu importieren.

Lin Bautze: Generell ist die Frage, wo wir den staatlichen Förderfokus setzen. Wir müssen uns beispielsweise fragen, ob Netto null wirklich ein sinnvolles Ziel ist für die Landwirtschaft.

Was kann der Biolandbau für eine Rolle spielen? Kann er ein Vorbild sein oder ist er zu beschäftigt mit seinen eigenen Zielkonflikten, zum Beispiel punkto Ressourceneffizienz?

Raphaël Charles: Was wir bringen können, ist die Fähigkeit, ans Klima zu denken und gleichzeitig an andere Probleme wie Biodiversität und begrenzte Ressourcen. Dieses biospezifische integrierte Denken, das an vielen anderen Orten fehlt, müssen wir am FiBL und generell im Biolandbau weiterpflegen.

Lin Bautze: Dieses ganzheitliche Verständnis ist eine Stärke des Biolandbaus. Aber auch auf den Biobetrieben braucht es noch mehr Klimaanpassung. Das Potenzial, Klimaextreme abzupuffern, ist zwar vielleicht etwas höher als bei anderen Betrieben, weil der Boden gesünder ist oder der Betrieb schon diverser ist, aber der Biolandbau muss immer noch dazulernen. Daran arbeiten wir am FiBL. 

Interview: Adrian Krebs, FiBL

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