Jürn Sanders ist Vorsitzender der Geschäftsleitung des FiBL Schweiz und Präsident von FiBL Europe. Zuvor hatte er das Departement für Agrar- und Ernährungssysteme geleitet. Dort hat sich der Agrarökonom, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler intensiv mit den Ökosystemdienstleistungen und den Umweltauswirkungen des Biolandbaus befasst.
Mit den "Stimmen zur Biodiversität" haben wir am FiBL in den letzten Monaten Expert*innen zu Wort kommen lassen, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Bedeutung der Biodiversität beleuchtet haben. Dabei ist ein faszinierendes Kaleidoskop entstanden. Die Beiträge beschreiben pointiert, warum die biologische Vielfalt essentiell für unsere Zukunft ist und wie wir sie besser schützen können. So ist Biodiversität beispielsweise für die Bestäubung, die Klimaregulierung, den Hochwasserschutz, die Bodenfruchtbarkeit oder die Herstellung von Nahrungsmitteln, Brennstoffen, Fasern oder Medikamenten unabdingbar. Ohne Vielfalt, keine Ökosystemleistungen. Ohne Ökosystemleistungen, kein Leben. Komplizierte Dinge können manchmal sehr einfach sein. Verständlich sind sie dadurch allerdings nicht – im Gegenteil.
Denn die Biodiversität – also die Vielfalt aller Lebensformen, einschliesslich der genetischen Vielfalt innerhalb von Arten, der Artenvielfalt und der Vielfalt der Ökosysteme – ist hochgradig komplex. Sie umfasst nicht einfach nur addierbare Einzelteile, sondern besteht aus unzähligen Wechselwirkungen, Rückkopplungen und Dynamiken. In dieser Komplexität liegt ihre besondere Bedeutung: Sie erlaubt es, mit Veränderungen umzugehen, sich anzupassen, zu regenerieren.
In der Landwirtschaft ist diese Verbindung von Diversität und Komplexität unmittelbar spürbar. Ein vielfältiger Betrieb – mit Mischkulturen, Fruchtfolgen, Agroforstsystemen, Blühstreifen und einer reich strukturierten Landschaft – ist nicht nur "schön anzusehen", sondern resilient. Er reagiert weniger empfindlich auf Wetterextreme oder Schädlinge. Auch einem ökonomischen Druck hält er besser stand. Er bietet Lebensräume, regeneriert den Boden, fördert bestäubende Insekten – kurz: Er lebt und lässt dabei leben.
Wenn wir Komplexität verstehen lernen, dann erkennen wir: Diversität ist keine Option, sondern eine Voraussetzung für langfristige Stabilität. Monokulturen – im Feld wie im Denken – reduzieren die Komplexität eines Systems. Sie sind einfacher zu bewirtschaften, aber auch störanfälliger. Komplexe Systeme sind dagegen zwar anspruchsvoll, dafür aber langfristig tragfähiger. Sie setzen weniger auf eine kleinteilige Kontrolle, sondern auf kluge Rahmenbedingungen mit dem Ziel, Synergiepotenziale zu nutzen. Denn letztlich zeigt uns jedes blühende Ökosystem: Komplexität ist nichts Chaotisches. Komplexität steht für Kooperation und einen nachhaltigen Mehrwert.
Am FiBL werden wir in den nächsten Jahren weiter intensiv an diesen klugen Rahmenbedingungen arbeiten. Dabei geht es uns nicht nur darum, die Nutzung und Förderung der funktionellen Biodiversität oder der genetischer Ressourcen zu analysieren. Unser Anliegen ist dabei immer auch, sich mit Offenheit, Begeisterung und Staunen von der Natur inspirieren zu lassen und von ihr zu lernen. Denn die Natur ist – wie der amerikanische Biologe Edward O. Wilson es mal beschrieben hat – die grösste Bibliothek der Welt, voller Lösungen, die die Evolution über Millionen Jahre hervorgebracht hat. Wir sollten uns bewusst sein, dass wir davon bis heute nur einen Bruchteil kennen. Wer den Wert der Vielfalt versteht und sie wirkungsvoll schützt, leistet somit einen Beitrag zu unserer Zukunft.