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Rio+20 aktuell: Von Nebenveranstaltung zu Nebenveranstaltung

In seinem zweiten Blogbeitrag zum Erdgipfel Rio+20 stellt Urs Niggli fest, dass trotz aller Ernüchterung für ihn das Highlight bleibt, dass eine gute Biolandbaupraxis Fortschritte im Sinne der zahlreichen Herausforderungen bringt. Und dass das FiBL mit seinen Forschungsprojekten exakt auf die Rio+20-Strategien ausgerichtet ist.

Als Vertreter einer Nichtregierungsorganisation (NGO) ist man vor allem unter seinesgleichen. Man besucht sich gegenseitig an den Veranstaltungen, welche weit vom eigentlichen „Geschütz“ stattfinden. Meist ist man grundsätzlich der gleichen Meinung. Und doch möchte jede Gruppierung ihre ganz spezifischen Anliegen im Verhandlungstext erwähnt sehen. Bei diesen Spezifika hört dann die Solidarität wieder auf, da jeder sein Thema wichtiger findet als die der anderen.

Am Samstagmorgen platzte beim Briefing der landwirtschaftlichen Gruppierungen, bei denen die IFOAM unterdessen eine feste Stellung hat, die Bombe. Brasilien hat den ganzen Verhandlungstext zurückgezogen und will nochmals von vorne beginnen. Die vielen Klein- und Kleinstinteressen, welche den Text mit zahlreichen Klammern schwerfällig machten, blockierten die Verhandlungen. Zudem ging der Text den Brasilianern in einigen Punkten zu weit.

Am Sonntagmorgen kam dann der neuste Text. Er wurde leicht entschlackt, in einzelnen wichtigen Punkten ging das Papier sogar hinter das zurück, was schon vereinbart war. Etwa 100 junge NGO-Vertreter wählten am Sonntagabend Brasilien zum „Fossil des Tages“.

Wichtige Eckpunkte für eine agrarökologische Ausrichtung der Landwirtschaft und Ernährung sind aber im aktuellen Verhandlungspapier noch vorhanden. Die Angst besteht natürlich, dass zu vieles unverbindlich bleibt und dass die Aktionen zu widersprüchlich ausfallen, sodass sie lahm werden. Es ist tatsächlich erschreckend, wie wenig in den letzten 20 Jahren seit der ersten Rio-Konferenz tatsächlich passiert ist, obwohl damals enorm wichtige Entscheide gefällt wurden.
Bezüglich Landwirtschaft und Ernährung sind momentan die folgenden Eckpunkte festgelegt:

  • Nachhaltiger Konsum hat eine hohe Priorität und es werden fundamentale Änderungen gefordert (Artikel 226).
  • Die Bedeutung der Landwirtschaft und der ländlichen Bevölkerung für die Armutsbekämpfung hat eine zentrale Bedeutung (Artikel 109). Der Zugang von ländlichen Dorfgemeinschaften zu Krediten, Finanzdienstleistungen, Märkten, Landbesitz, Gesundheitsversorgung und sozialen Leistungen, Erziehung und Beratung, Wissen und angepassten und erschwinglichen Techniken müsse dringend gewährleistet werden. Die Kleinbauern, Frauen und einheimische Volksgruppen werden dabei besonders hervorgehoben. Traditionelle landwirtschaftliche Techniken und traditionelles lokales Saatgut werden besonders hervorgehoben.
  • Es wird betont, dass die Armut und der fehlende Zugang zu genügend Lebensmitteln mit höchster Priorität angegangen werden müssen (Artikel 108). Die reine Produktionssicht (Erträge) scheint nicht im gleichen Masse im Vordergrund zu stehen.
  • Die Bekämpfung der Bodenerosion und der weiteren Zunahme der Wüstenbildung hat höchste Priorität. Periodische Dürren werden als Hauptursachen von Hungersnöten gesehen. Die Verbesserung des Wassermanagements und der Bodenfruchtbarkeit sind zentrale Massnahmen. Ausbildungsprogramme, Forschungsprojekte und lokale, von Landwirten und Fachleuten getragene Initiativen sollen besonders gefördert werden (Artikel 207 bis 211).
  • Der dramatische Verlust an Biodiversität muss gestoppt werden (Artikel 198 bis 206). Der eigenständige, von wirtschaftlichen Interessen unabhängige Wert der biologischen Vielfalt wird nochmals betont und es wird auf den ökologischen, genetischen, sozialen, ökonomischen, wissenschaftlichen, erzieherischen, kulturellen, erholenden und ästhetischen Wert der biologischen Vielfalt hingewiesen. Dass einheimische Volksgruppen und lokale Gemeinschaften besonders von den Leistungen intakter Ökosysteme abhängen, wird ausdrücklich betont. Deshalb sind deren Zugang zu diesen Leistungen und die gemeinsame Nutzniessung sehr wichtig für die Armutsbekämpfung und die nachhaltige Nutzung. Die Nutzung und Kommerzialisierung von genetischen Ressourcen und damit verbundenem traditionellem Wissen ist vor allem für Entwicklungsländer sehr wichtig (häufig Ursprungsländer von genetischen Ressourcen). Dabei muss die faire und gerechte Verteilung von wirtschaftlichen Vorteilen berücksichtigt werden.
  • Die Belastung der Umwelt mit Chemikalien und Abfällen muss dramatisch reduziert werden. Der Entwicklung von Alternativen zu Chemikalien kommt eine grosse Bedeutung zu. Chemikalien müssen generell risikoarm werden und bei deren Entwicklung muss der ganze Lebenszyklus bis hin zur Wiederverwertung oder zum vollständigen Abbau berücksichtig werden. Dies ist v.a. in der Landwirtschaft wichtig, weil Chemikalien grossflächig ausgebracht werden. Einen hohen Stellenwert haben die Vermeidung von Abfall und die Wiederverwertung. Obwohl das moderne „Cradle to Cradle“-Prinzip nicht speziell erwähnt wird, gehen die Vorschläge in diese Richtung: Der Abfall jedes einzelnen Herstellungsprozesses und Konsums muss so hochwertig sein, dass er wieder ein wertvoller Rohstoff für einen folgenden Prozess ist (Artikel 215 bis 225).
  • Der Klimawandel ist die grösste Herausforderung unserer Zeit. Viele Entwicklungsländer seien bereits heute von Dürren und extremen Wetterereignissen bedroht. Die heute vorliegenden aggregierten Zusagen aller Länder für CO2-Reduktionsziele würden niemals ausreichen, die globale Erwärmung unter 2 bzw. 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu halten.

Anpassungsmassnahmen an die Auswirkungen des Klimawandels werden deshalb immer dringender (Artikel 191 bis 193).

Bei aller Ernüchterung bleibt für mich das Highlight, dass eine gute Biolandbaupraxis Fortschritte im Sinne der zahlreichen Herausforderungen bringt. Und dass das FiBL mit seinen Forschungsprojekten exakt auf die Rio+20-Strategien ausgerichtet ist

Urs Niggli, 18. Juni 2012, 16:22 Uhr

Weitere Informationen

Kontakt

Urs Niggli, Direktor FiBL Schweiz

Link

www.uncsd2012.org