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Ersatz problematischer Betriebsmittel im Biolandbau: Vier erfolgreiche Jahre Forschung zu Alternativen im Projekt RELACS

Menschen auf einem Feld

Bei "Farmer Field Schools" trifft sich eine Gruppe von Landwirt*innen auf einem Hof. Die Gastgebenden stellen ein betriebsspezifisches Problem vor. Es folgen ein Besuch des Betriebs und eine strukturierte Diskussion, bei der die Gruppe Empfehlungen zur Lösung des Problems gibt. (Foto: Soil Association, Kate Still)

Schafe

Schafe auf dem Betrieb von "Scotland's Rural College". (Foto: SRUC, Francesca Shepherd)

Ein Mensch im Spritz-Anzug geht durch Weinreben

Eine RELACS-Kupferalternative wird im Weinberg gespritzt. (Foto: FiBL, Mathias Marx)

RELACS-Koordinator Lucius Tamm berichtet über die wichtigsten Ergebnisse des Projekts, welches im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union finanziert und vom FiBL Schweiz koordiniert wurde.

Biobäuerinnen und -bauern halten sich an hohe Standards bei der Herstellung von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln und schonen gleichzeitig die Umwelt. Der Biolandbau muss jedoch kontinuierlich verbessert werden, um seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Ziel des Forschungsprojekts RELACS (Replacement of Contentious Inputs in Organic Farming Systems) war es, die Entwicklung und Einführung kosteneffizienter und umweltfreundlicher Tools und Technologien fördern, um (i) den Einsatz von Kupfer und Mineralöl im Pflanzenschutz zu reduzieren, (ii) nachhaltige Nährstoffquellen für die Pflanzenernährung zu identifizieren und (iii) Alternativen zu Anthelminthika, Antibiotika, und synthetischen Vitaminen bereitzustellen. RELACS baute auf den Ergebnissen früherer Forschungsprojekte auf und entwickelte fortgeschrittene Lösungen weiter. Für eine rasche Umsetzung durch Landwirt*innen sind wurden zudem politische Begleitmassnahmen und realistische Umsetzungspfade vorgeschlagen.

Alternativen zu Kupfer

Vier alternative Produkte für Kupfer haben fortgeschrittene "Technology Readiness Levels" * (TRL höher als 7) erreicht. Diese können bei Reben, Äpfeln und gartenbaulichen Kulturen eingesetzt werden. Die Pilotprodukte boten vielversprechenden Schutz bei einer Vielzahl von Kulturen und unter unterschiedlichen klimatischen Verhältnissen – entweder als eigenständige Anwendung oder in Kombination mit niedrig dosiertem Kupfer. In den nächsten zehn Jahren wird es möglich sein, den Kupfereinsatz bei Reben und Äpfeln zu reduzieren, sofern die Alternativen zugelassen werden können. Da das Registrierungsverfahren für pflanzliche Produkte derzeit sehr langwierig und zeitaufwändig ist, sollte es durch die EU angepasst werden.

Die Bereitstellung von ausreichenden Mengen alternativer Produkte zu einem wirtschaftlich vertretbaren Preis bleibt jedoch eine grosse Herausforderung. Das RELACS-Projektteam rät daher, eher eine Minimierungsstrategie zu verfolgen als Kupfer vollständig zu ersetzen. Eine solche Strategie könnte folgendes beinhalten: den Anbau resistenter Sorten, die Umsetzung von Präventivmassnahmen (zum Beispiel verstärkte funktionelle Biodiversität, Anbaumanagement), den Einsatz alternativer Substanzen und den Einsatz von Systemen zur Entscheidungsunterstützung (Decision Support Systems DSS). Die Kombination der vorbeugenden Massnahmen sollte eine Reduktion des Kupfereinsatzes ermöglichen.

Ersatz von Mineralöl (Paraffin)

Im Zitrusanbau wurden zwei alternative Produkte getestet, um Mineralöl (Paraffinöl) zu ersetzen, welches gegen Schädlinge wie Schildläuse, Thripse und Milben verwendet wird. Darüber hinaus wurden Fortschritte bei der Entwicklung von Techniken erzielt, die die akustischen Kommunikationssignale der Schädlinge imitieren und so deren Paarungsverhalten und Fortpflanzung stören. Eine deutliche Reduzierung von Mineralöl unter Verwendung innovativer Techniken und weniger problematischer Produkte scheint in naher Zukunft möglich zu sein. Dazu gehören Massnahmen zur Biodiversitätsförderung, die Verwendung alternativer Produkte auf Pflanzenextrakt-Basis (Clitoria ternatea und ätherisches Orangenöl) und die Verwendung von Vibrationssignalen. Die Zulassung der Mineralölalternativen ist allerdings wegen den komplizierten Zulassungsverfahren schwierig.

Alternativen zu Anthelminthika

Zwei Alternativen zu Anthelminthika – einer Gruppe antiparasitärer Medikamente, die parasitäre Würmer (Helminthen) und andere innere Parasiten bekämpfen – wurden in RELACS getestet: Produkte, die auf dem Pilz Duddingtonia flagrans basieren sowie die Verfütterung von gerbstoffreichem Futter (Heidekraut). Diese Massnahmen können den Gesamtverbrauch an Anthelminthika bei Rindern, Schafen und Ziegen im Biolandbau um 30 bis 50 Prozent senken, deren Einsatz aber nicht ersetzen. Für die rasche Umsetzung der Alternativen ist der Einsatz von Tierärzt*innen und die Anpassung der Zulassungsverfahren für Tierarzneimittel entscheidend.

Reduzierung von Antibiotika

Im Projekt RELACS  wurden zwei alternative Strategien zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes bei Biomilchkühen untersucht: Zum einen das Animal Health and Welfare Planning Protocol (AHWP), das detaillierte betriebsspezifische Daten mit sogenannten "Farmer Field Schools" (FFS) kombiniert sowie zum andern die Verwendung von ätherischen Ölen zur Bekämpfung leichter bis mittlerer Mastitis. Die FFS sind Treffen, bei denen mehrere Landwirt*innen gemeinsam betriebsspezifische Problemlösungen erarbeiten.

Beide Ansätze sind vielversprechend für die Verringerung des Antibiotikaeinsatzes. Bei der Heilung von (leichter oder mittelschwerer) klinischer Mastitis wurde kein Unterschied zwischen der Behandlung mit ätherischen Ölen und der mit Antibiotika festgestellt und auch keine negativen Auswirkungen auf die Milchqualität oder die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere beobachtet. Die korrekte Umsetzung des Animal Health and Welfare Planning Protocol birgt ein sehr hohes Potenzial – bis zu 50 Prozent – zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes bei der Mastitisbehandlung von Milchvieh. Um die Verbreitung zu erleichtern, ist es jedoch notwendig, stark in Beratungsdienste zu investieren und Tierärzt*innen einzubeziehen. Mittelfristig könnten die Strategien zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes durch die Verwendung von ätherischen Ölen ergänzt werden, was allerdings noch durch weitere Forschung bestätigt werden muss. Auch hier sollte die EU das Zulassungsverfahren für pflanzliche Tierarzneimittel anpassen, da diese derzeit sehr langwierig und zeitaufwändig ist.

Reduzierung von Vitaminpräparaten

Die derzeitige Zufuhr von Vitamin E und anderen Vitaminen bei Biowiederkäuern und von B2/B12-Vitaminen bei Biogeflügel kann erheblich reduziert werden, da reduzierte Vitamindiäten in den Versuchen weder negative Auswirkungen auf die Tiere noch auf die Milch- oder Fleischqualität hatten. Ein vollständiger Verzicht ist zwar nicht möglich, doch könnte Vitamin E bei Biomilchkühen um etwa 50 Prozent und Vitamin B2 bei Biogeflügel um 30 bis 50 Prozent reduziert werden. Dies kann sehr kurzfristig erfolgen, da es für die Futtermittelindustrie keine technischen Einschränkungen gibt. Ein von GVO (gentechnisch veränderte Organismen) freier Hefestamm, der Riboflavin (Vitamin B2) überproduziert, eröffnet die Möglichkeit einer zusätzlichen alternativen, GVO-freien und nicht-synthetischen Produktion von Vitamin B12. Derzeit ist die Situation prekär, da nur ein europäischer Anbieter Vitamin B2 anbietet, das ohne die Hilfe von GVO hergestellt wurde. Um eine Verknappung von Vitamin B2 zu vermeiden ist es wichtig, den Markt weiterzuentwickeln und den Wettbewerb zu fördern, damit weitere Alternativen verfügbar werden. Um den Zugang zu Alternativen zu erleichtern sollte auch die Registrierung von Futtermittelzusatzstoffen auf EU-Ebene erleichtert werden.

Externe Nährstoffzufuhr

Der derzeitige Einsatz von und der Bedarf an externen Nährstoffeinträgen auf Biobetrieben wurde in acht Regionen in Fallstudien bewertet. In vielen Gebieten sind zusätzliche Stickstoffeinträge (N) im Biolandbau nötig, um die Produktivität zu steigern, während Phosphat- (P) und Kaliumeinträge (K) erforderlich sind, um die Verarmung der Böden zu verhindern. Die in RELACS erarbeiteten Daten zeigen, dass die Bedeutung der Nährstoffversorgung im Biolandbau bisher unterschätzt wurde. Die begrenzte Verfügbarkeit von Betriebsmitteln, die die Bodenfruchtbarkeit steigern, ist der grösste ertragslimitierende Faktor auf viehlosen Biobetrieben. Zudem wird ohne eine kosteneffiziente Versorgung mit Pflanzennährstoffen in vielen Regionen eine Ausweitung des biologischen Pflanzenbaus über eine Grenze von 15 bis 20 Prozent hinaus verhindert. Die Abhängigkeit von Biobetrieben von konventionellem Dünger und externen Nährstoffen aus nicht erneuerbaren Quellen kann jedoch mittelfristig durch die Verwertung von Abfallströmen verringert werden. Entscheidend ist, dass Sicherheit und Akzeptanz dieser Produkte gewährleistet sind und dass sich der Biosektor auf Kriterien für ihre Verwendung einigt.

Durchführbare und kostengünstige Lösungen

Die Schlussfolgerungen aus dem RELACS-Projekts wurden in einer Reihe nationaler und europäischer Workshops mit Forscher*innen, politischen Entscheidungsträger*innen, der Industrie und Landwirtschaftsverbänden erarbeitet. Die daraus resultierenden Fahrpläne für die Reduzierung umstrittener Pflanzenschutzmittel (Kupfer, Mineralöl), die schrittweise Einführung neuer Nährstoffquellen und die Reduzierung umstrittener Betriebsmittel in der Tierproduktion (Antibiotika, Anthelminthika, Vitamine) sind auf der RELACS-Website verfügbar (siehe Link unten).

Zu den Zielen der europäischen "Farm to Fork"-Strategie gehört nicht nur, dass problematische Praktiken ersetzt werden, sondern auch, dass leicht zugängliche und kosteneffiziente Alternativen in ausreichender Menge bereitgestellt werden. Während die im Rahmen von RELACS untersuchten Betriebsmittel und Technologien die Erwartungen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weitgehend erfüllten, hat es sich auch gezeigt, dass die Zulassung in vielen Fällen sehr lange dauert. Zudem werden viele Alternativen teurer sein als die Standardverfahren, so dass es politische Begleitmassnahmen sowie Beratung und Schulungen braucht, damit Landwirt*innen sie nutzen werden.

Fazit

RELACS hat die wissenschaftlichen Daten geliefert, um machbare und kosteneffiziente Lösungen sowie die Wege zu deren Umsetzung zu ermitteln, hat aber auch Engpässe auf verschiedenen Ebenen entlang der Wertschöpfungskette festgestellt. Zudem wurde deutlich, dass die relevanten EU-Gesetzgebungen für die jeweiligen Betriebsmittel auf die verschiedenen Probleme zugeschnitten werden müssen. Es wurden Fahrpläne für faire, glaubwürdige und umsetzbare Richtlinien für die im Projekt bearbeiteten umstrittenen Betriebsmittel entwickelt. Ein sofortiger Ausstieg aus den umstrittenen Betriebsmitteln würde erwartungsgemäss untragbare Risiken und Kosten für den Biosektor mit sich bringen. Ein intelligenter Fahrplan mit mehrstufigen Übergangsphasen jedoch kann zu einer schnellen und erfolgreichen Umstellung der landwirtschaftlichen Praxis führen. Es war und bleibt wichtig, alle relevanten Interessengruppen einzubeziehen für einen Konsens hinsichtlich der technischen Machbarkeit von Lösungen in den verschiedenen klimatischen und soziokulturellen Gegebenheiten in Europa.

*Technologie-Reifegrade (Technology Readiness Levels, TRL) sind ein Messsystem zur Bewertung des Entwicklungsstandes einer bestimmten Technologie.

Autor*innen: Lucius Tamm & Joelle Herforth-Rahmé, FiBL Schweiz

Weitere Informationen

Kontakt

Lucius Tamm

Links

relacs-project.eu: Website des RELACS-Projects