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"Auf EU-Ebene sind wir agiler"

Stimmen zum Jubiläum

Seit 2011 leitet Dóra Drexler das ungarische Forschungsinstitut für biologischen Landbau ÖMKi, das Teil der FiBL Gruppe ist. Zudem ist sie Vizepräsidentin von IFOAM Organics Europe, dem europäischen Zweig der internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen.

Bio hat in Ungarn noch immer einen eher schweren Stand. Unter welchen Umständen kam es 2011 zur Gründung des ÖMKi?

Die Stiftung Pancivis aus Liechtenstein suchte Anfang der 2010er-Jahre zunächst sehr diskret und aus dem Hintergrund heraus nach Möglichkeiten, die Forschung und den Biolandbau in Ungarn zu fördern. Das FiBL Schweiz, damals unter der Leitung von Urs Niggli, wurde damit beauftragt, das Projekt aufzugleisen. Ich habe mich auf eine Ausschreibung für die operative Leitung des Projektes gemeldet.

Sie hatten in München in Landschaftsplanung doktoriert. Mit Landwirtschaft hatten Sie bis dahin aber wenig zu tun. Wie haben Sie überzeugt?

Es war klar, dass ein solches Projekt eine starke Repräsentation, ein Gesicht braucht. Die Erwartungen und Ambitionen waren hoch, das widerspiegelte die grosszügige Anschubfinanzierung. 2011 fand der European Organic Congress in Ungarn statt und unser Land hatte den Vorsitz im Rat der EU. Das brachte Aufmerksamkeit für das Land und den Biolandbau mit sich, aber man musste die Bühne eben auch aktiv nutzen. Zudem war das ÖMKi am Anfang innerhalb der ungarischen Biobranche heftigem Gegenwind ausgesetzt. Urs Niggli wusste, dass die Leitung in einem solchen Umfeld ein positives Auftreten und mediale wie auch kommunikative Kompetenzen mitbringen muss. Für die Stelle habe ich mich gemeinsam mit Zsolt Kanyó beworben, der dann aber später zur ungarischen Biokontrollstelle wechselte. Unsere Vorschläge, wie wir die Forschung inhaltlich, aber auch organisatorisch vorantreiben wollen, haben wahrscheinlich überzeugt.

Der Gründungsimpuls kam zwar nicht von Landwirtinnen und Landwirten selbst, dennoch hat das ÖMKi von Beginn weg auf Praxisforschung und eine enge Zusammenarbeit mit Betrieben gesetzt. Weshalb?

Zur Vorbereitung bin ich vor der Gründung des ÖMKi ein halbes Jahr ans FiBL nach Frick gekommen, damit ich die Ideen, den Ort und die Menschen kennenlernte. Ich konnte in verschiedenen Gruppen mitarbeiten, ganz nach dem Prinzip Learning by Doing. In der praktischen Ausrichtung des ÖMKi haben wir uns nah an der Arbeitsweise des FiBL Schweiz orientiert, weil klar war, dass der Biolandbau in Ungarn auch einen solchen engen Austausch zwischen Forschung und Praxis braucht. Durch die gesicherte Finanzierung konnten wir in den ersten fünf, sechs Jahren die On-Farm-Forschung aufbauen. Wir haben am Anfang Gemeinschaftsbildung betrieben, Biobäuerinnen- und bauern zu Workshops eingeladen, diskutiert und gemeinsam nach den drängendsten Fragen für den Biolandbau gesucht.

Das ÖMKi beschäftigt über 40 Personen, arbeitet mit mehr als 100 Betrieben im On-Farm-Netzwerk zusammen und ist derzeit an 20 grossen Forschungsprojekten der EU beteiligt. Das ÖMKi gilt als erfolgreich...

Wir koordinieren und führen mit dem "BOOST4BIOEAST" mittlerweile auch ein ganzes Projekt. Tatsächlich erleben wir nun schon seit einigen Jahren ein starkes Wachstum, auf das wir aber auch angewiesen waren. Zwischen 2017 und 2022 hat sich die Stiftung Pancivis wie vereinbart allmählich zurückgezogen. Mithilfe von Kolleginnen und Kollegen des FiBL haben wir uns schon relativ früh um die Mitarbeit in EU-Projekten bemüht. Den Grossteil unserer Mittel erhalten wir seit 2019 jedoch aus dem "National Rural Network". Das sind Mittel, welche den Mitgliedsstaaten durch die EU zur Verfügung gestellt werden und im jeweiligen Land eingesetzt werden müssen.

Das ÖMKi hat sich zu Beginn stark am FiBL Schweiz orientiert. Trotz der ähnlichen Denk- und Arbeitsweise hat sich das ÖMKi aber eigenständig weiterentwickelt. Wie sind der Kontakt und das Verhältnis heute?

Über gemeinsame Treffen und auch über das FiBL Europe, wo alle Leiterinnen und Leiter der nationalen FiBL Institute im Vorstand sind, sind wir in Kontakt. Und natürlich arbeiten wir zusammen in verschiedenen EU-Projekten. Dass die Schweiz nicht Teil der EU ist, beeinflusst unsere Beziehung aber schon. Für uns ist interessant zu sehen, dass wir in gewissen Bereichen Vorteile haben. Wir sind ein relativ kleines Institut aus einem sogenannten osteuropäischen Land. Wir bringen andere Perspektiven und Möglichkeiten mit, die im europäischen Forschungskontext aber durchaus gefragt sind. Auf der Ebene der EU-Strategiebildung sind wir vorne mit dabei, etwa beim Projekt "Partnership on Agroecology", wo es um den Aufbau eines europäischen Reallabors und Netzwerkes für Agrarökologie geht. Da sind wir etwas agiler. Direkte Überschneidungen zum FiBL Schweiz hätten wir aber gerne wieder mehr. Persönlich bin ich sehr dankbar für die Kontakte, die ich seit 2010 mit verschiedenen Personen dort pflege. In den Bereichen Wertschöpfungsketten, Pflanzenschutz, Bodenforschung oder Nutztiere sehe ich viel Potenzial für Zusammenarbeit.

Im Podcast "FiBL Focus" vom 29. September 2023 spricht Urs Niggli über die Schattenseiten für das Familienleben, wenn man sich ganz einem Institut verschreibt. Sie gelten ebenfalls als unermüdlich in Ihrem Engagement für das ÖMKi. Wie sehen Sie sich selbst in dieser Situation?

Mit Urs teile ich sicher die Leidenschaft für die Arbeit. Aber es gibt sicher auch Tiefpunkte, wo man kritisch wird. Ist man gut genug als Mutter? Als Institutsleiterin? Am Anfang meiner Karriere zählten für mich nur Bestleistungen. Jetzt bin ich 42 und denke, ich muss einfach gut genug sein. Das meint nicht mittelmässig, aber halt auch nicht ständig den Superlativ in allem. Ich hatte aber auch immer sehr gute Kolleginnen und Kollegen, die es mir erlauben, gute Arbeit zu leisten und trotzdem alles unter einen Hut zu bringen.

Was wünschen Sie dem FiBL Schweiz für die nächsten 50 Jahre?

Für die nächsten 50 Jahre wünsche ich dem FiBL Schweiz weiter visionäre Ziele und viele leidenschaftliche Kolleginnen und Kollegen, die sie verfolgen. Aber auch durchschlagende Forschungsergebnisse und Entwicklungen für zukunftsfähigere Ernährungssysteme.

Interview: Jeremias Lütold, FiBL

Dies ist die gekürzte Version eines Interviews, das in der Ausgabe 10/23 des Magazins Bioaktuell erschienen ist. Dieses ist als PDF verfügbar.

Weitere Informationen

Link

orgprints.org: Interview "Auf EU-Ebene sind wir agiler" aus dem Magazin Bioaktuell 10/23