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"Ein nationaler Aktionsplan Bio täte der Schweiz enorm gut"

Stimmen zum 50-Jahr-Jubiläum

Maya Graf ist Politikerin, Sozialarbeiterin und Miteigentümerin des familieneigenen Biobetriebes in Sissach im Kanton Baselland. 2001 zog sie für die Grüne Partei in den Schweizer Nationalrat ein, seit 2019 ist die Ständerätin.

Frau Graf, was hat Sie für Bio sensibilisiert?

Ich bin auf dem Bauernhof aufgewachsen, wo ich heute noch lebe und Mitbesitzerin bin. Die Achtzigerjahre mit dem Waldsterben und der Ökobewegung haben mich politisiert. Seither war für mich klar: Auch unsere Landwirtschaft muss mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie. Wir haben den Hof im Jahr 2000 auf Bio umgestellt. Als ich 2001 ins nationale Parlament kam, wurde ich Präsidentin der heutigen Schweizer Allianz Gentechfrei SAG.

Wie haben Sie das FiBL kennengelernt?

Schon in den Anfängen, noch in Oberwil in unserem Kanton. Mein Bruder arbeitete beim FiBL.

Als National- und Ständerätin haben Sie bisher über 120 Vorstösse mit Bezug zur Landwirtschaft eingereicht. Viele davon betrafen auch das FiBL. Warum?

Das FiBL bietet angewandte Forschung und arbeitet nah mit den Bauernfamilien vor Ort zusammen. Zugleich ist es Weltspitze in wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung in den grossen Zusammenhängen wie Klima, Artenvielfalt und Agrarökologie. Der systemische Ansatz des Biolandbaus und die Forschung des FiBL sind für die Transformation unseres Ernährungssystems gefragt und wichtig wie nie.

Kam es vor, dass Sie mit dem FiBL auch uneins waren?

Es ist wichtig und normal, dass es an einem Forschungsinstitut verschiedene Meinungen gibt. Das FiBL ist unabhängig wie auch die ETH oder eine Universität. Die FiBL Forschung umfasst das ganze Ernährungssystem, was Bedingung ist für eine nachhaltige, ökologische und klimafreundliche Wertschöpfungskette. Dass sich bei solch weitreichenden Fragestellungen unterschiedliche Lösungsansätze entwickeln, ist wichtig. Der frühere FiBL Direktor Urs Niggli zum Beispiel liebäugelt mit dem Einsatz von Gentechnologie im Biolandbau. Selbstverständlich soll er seine Meinung haben können. Aber genauso selbstverständlich soll man ihm auch mit guten Argumenten widersprechen können. (lacht)

Sie haben sich für eine solide Finanzierung des FiBL stark gemacht. Wie genau?

Das war nur möglich dank einer breiten politischen Allianz. Es brauchte dazu parteiübergreifende Koalitionen im Parlament und die Unterstützung von Verbänden wie dem Bauernverband. Anstoss gaben zwei Motionen, welche Agroscope und FiBL zu gleichwertigen Partnern machen wollten. Der Bundesrat lehnte das ab, doch das Parlament erkannte die Notwendigkeit für mehr Biolandbauforschung und nahm eine zusätzliche Finanzierung ab 2020 ins Budget auf. Seither existiert ein Finanzhilfevertrag mit dem Bundesamt für Landwirtschaft für eine Grundfinanzierung von jährlich 15 Millionen Franken über jeweils vier Jahre.

Haben Sie für Ihre Politik selbst auch schon von den Forschungsresultaten des FiBL profitieren können?

Ja, zum Beispiel hinsichtlich der Pflanzenzüchtung. Aus einem meiner Postulate resultierte die "Strategie Pflanzenzüchtung Schweiz", bei der Monika Messmer, Leiterin der Gruppe Pflanzenzüchtung am FiBL, mit ihrem grossen Know-how eine wesentliche Rolle spielte. Die Strategie will auch die privaten Züchterinnen und Züchter von Biosaatgut in der Schweiz stärken. Allgemein bin ich oft sehr froh um Forschungsresultate aus Frick, die meiner Arbeit den nötigen Background geben.

Die Schweiz hat kein Bioziel, wie es etwa die EU mit 25 Prozent Bioflächen bis 2030 vorsieht. Die Agrarpolitik AP 22+ spricht nie konkret von Bio, nur pauschal von Nachhaltigkeit und Agrarökologie. Warum?

Grundsätzlich hat der Bund das Konzept der Agrarökologie anerkannt und ab der AP 14+ auch versucht umzusetzen. Es fehlt aber die Zukunftsstrategie. Ein nationaler Aktionsplan Bio täte der Schweiz, bezogen auf die gesamte Land- und Ernährungswirtschaft, extrem gut. In der Schweiz haben wir aber eine mächtige Lebensmittelindustrie, die mit der bürgerlichen Politik und dem Bauernverband verbandelt ist. Diese Lobby hat eine Biooffensive stets verhindert. Immerhin gibt es in diversen Kantonen inzwischen Aktionspläne für mehr Biolandwirtschaft.

Sie engagieren sich auch für die Gleichstellung der Frau in der Landwirtschaft, seit Jahrzehnten eine schwer verständliche Pendenz. Warum dauert das so lange?

Ich arbeite über den Frauendachverband Alliance F seit langem mit dem Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband zusammen. Wir wollen, dass Frauen auch auf jenen Höfen sozial abgesichert werden, auf denen sie nicht Mitbesitzerinnen oder selbstständig erwerbend gemeldet sind. Man merkt, es rückt nun eine neue Generation von Bäuerinnen nach, die das endlich auch einfordert. Aber insgesamt stellen wir fest, dass in der Landwirtschaft noch immer sehr traditionelle Rollenbilder verankert sind.

Wie wird das FiBL an seinem 75-Jahr-Jubiläum aufgestellt sein? Welche Bedeutung wird es haben?

Das Institut spielt auch künftig eine immens wichtige Rolle. Die Klima- und Biodiversitätskrise schreitet rasch voran. Ganzheitliches Denken und Handeln ist für die Land- und Ernährungswirtschaft gefragt wie nie. Seit gut dreissig Jahren kämpfe ich gegen lineares Denken und gegen die Zerstörung unserer natürlichen Ressourcen aus kurzfristigem Profitdenken an. Unsere Ressourcen sind endlich, daher brauchen wir systemische Ansätze, wie sie das FiBL täglich erforscht und weltweit zur Verfügung stellt. Das Institut generiert dabei nicht nur die Grundlagen für die Transformation, sondern erarbeitet mit dem Wissenstransfer an die Adresse der Bauernbetriebe auch die nötige "Best Practice". Wir brauchen ganz viele verschiedene nachhaltige Lösungen, und das in sehr kurzer Zeit.

 Interview: Beat Grossrieder

Dies ist eine gekürzte und leicht angepasste Version eines Interviews, das in der Ausgabe 6/23 des Magazins Bioaktuell erschienen ist. Dieses ist als PDF verfügbar.

Weitere Informationen

Link

orgprints.org: Interview "Ein nationaler Aktionsplan Bio täte der Schweiz enorm gut" aus dem Magazin Bioaktuell 6/23