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FiBL an der Expo Milano: Visionen zur Ernährung der Städte

Raum mit Publikum in Gruppen an Tischen. Im Hintergrund die  Redner an einer Pultreihe.

Symposium des FiBL im Schweizer Pavillon. Organisatorin Heidrun Moschitz vom FiBL und die Referenten. Von links nach rechts: Heidrun Moschitz, Maximilian Lössl von der Association of Vertical Farming, Franca Roiatti vom Urban Food Policy Pact, Milano, Stefanie Kaiser von der Stadtentwicklung Basel, Carolyn Steel, Autorin von „Hungry City“ und Annemieke Fontein vom Rotterdam City Development. (Foto: FiBL)

Links eine mittelalterliche Stadt, ausserhalb der Stadtmauer die Gärten und in der Peripherie die Felder und Weiden. Volk, Reiter und Lasttiere strömen in die Stadt und aus der Stadt heraus.

Ausschnitt aus der Allegorie zur Auswirkung einer guten Regierung von Ambrogio Lorenzetti, Siena 1338. (Quelle: Carolyn Steel)

Eine Person in Schutzkleidung hantiert in einem geschlossenen Raum an einem von blauviolettem LED-Licht beleuchteten 15 stöckigen grossräumigen Regal mit Pflanzen.

Vertical Garden in Japan. Bei uns noch Utopie, in Asien bereits produktive Realität. (Foto: Maximilian Lössl, Association of Vertical Farming)

Die Hände dreckig machen – oder lieber doch nicht? Im Rahmen des vom FiBL organisierten Symposiums im Schweizer Pavillon an der Expo Milano wurden unterschiedliche Lösungsansätze zur Frage "How to feed a city – visions, technologies, emotions" diskutiert.

Wie sollen wir unsere Städte ernähren? Dies war die Frage am FiBL-Symposium an der Expo Milano. Sollen es mehrstöckige, vollautomatische Gewächshäuser sein? Maximilian Lössl von der Association for Vertical Farming, einer international tätigen Non-Profit-Organistation mit Sitz in München, empfiehlt solche Vertical Farms, da sie bei wenig Flächenbedarf auf zahlreichen Stockwerken präzise getimte Ernten liefern. Carolyn Steel, die Architektin und Autorin des Buches "Hungry City" bevorzugt es hingegen, in der Erde zu wühlen, Gurken auf dem Balkon zu ziehen und wieder direkt bei den Bauern einzukaufen.

Städte durch die "Nahrungsbrille" gesehen

Die Architektin und Autorin Carolyn Steel spannt in ihrem Vortrag einen historischen Bogen der städtischen Ernährungssysteme vom Neolithikum bis heute. Mit der Erfindung des Ackerbaus um 10‘000 v. Chr. existierte erstmals ein Überschuss an Nahrung, der die Bildung von Städten überhaupt erst ermöglichte. Bis zum Ende des Mittelalters waren Städte für die Versorgung mit Lebensmitteln von der direkten Umgebung abhängig. Die Bevölkerung einer Stadt war sehr eng mit der Nahrungsmittelproduktion verbunden. Diese Verbindung war wesentlicher Bestandteil einer idealen Stadt, wie sie auch auf einem Gemälde des Malers Ambrogio Lorenzetti aus dem 14. Jahrhundert dargestellt wird. Doch bereits antike Städte wie etwa Rom transportierten ihre Nahrung von weit her, diese wies also bereits eine beträchtliche Anzahl an "Food-Miles" auf. Beispielsweise konnte Getreide günstiger per Schiff aus Afrika, Spanien und Ägypten herbeigeschafft werden, als aus dem unwegsamen hügeligen Hinterland. Eine weitere drastische Distanzierung zwischen den Städtern und ihrer Nahrung entstand durch die ersten Eisenbahnstrecken. Nun konnten grosse Mengen an Lebensmitteln schnell über grosse Distanzen von weit her in die Städte gelangen. Durch die Zunahme des Autoverkehrs verschwinden heute selbst die Lebensmittelgeschäfte allmählich aus der Stadt. Der Einkauf wird in immer grösseren Supermärkten an der Peripherie der Siedlungen getätigt. Dies gipfelt in beinahe völliger Unsichtbarkeit der Produktion und damit auch in einer Entwertung der Waren. Deswegen plädiert Carolyn Steel dafür, diese Entwicklung teilweise rückgängig zu machen, die Menschen der Nahrungsmittelproduktion wieder näher zu bringen – sei es durch Schulgartenprojekte, Urban Gardening oder Vertragslandwirtschaft. Aus ihrer Sicht sollten die Stadtverwaltungen hier Verantwortung übernehmen und Projekte ermöglichen oder initiieren.

Bodenlose Gemüseproduktion

"Getreidefelder können durch Vertical Farming noch nicht wirtschaftlich ersetzt werden und die alleinige Lösung zur Ernährung der hungrigen Megastädte kann es auch nicht sein," sagt Maximilian Lössl, der Vertreter der Association for Vertical Farming. Er meint jedoch, dass die mehrstöckigen Gewächshäuser, die in Hallen, auf Dächern oder an Hausfassaden Platz finden, einen wesentlichen Beitrag zur Produktion von Gemüse, zur Schonung der Böden und zur Reduktion von Transportwegen können. Diese Produktionsform boomt derzeit in Asien und den Vereinigten Staaten. Singapur erzeugt bereits 7 Prozent des konsumierten Blattgemüses in solchen Anlagen. Denn sie bieten einige Vorteile. Laut Lössl lässt sich auf einer Hektare Vertical Farm gleichviel Gemüse wie auf 150 Freilandhektaren erwirtschaften. Dies dank perfekt gesteuerter Hydrokultur, welche mit hochtechnologischen Steuerungssystemen Temperatur, Licht und Nährstoffe für die Pflanze optimal abstimmen und so schmackhaftes und nährstoffreiches Gemüse erzeugen. Vertical Farming eröffnet zudem viele neue Forschungsfelder, wie etwa in der Steuerungstechnologie für die optimalen Produktionsparameter und der ökologischen Nachhaltigkeit der Anlagen. In Zukunft soll so viel Strom gespart werden, da die LED genau in der Frequenz blinken, in welcher die Lichtrezeptoren im Chlorophyll aktiv sind. Zudem ist das so produzierte Gemüse in den Augen hygienebewusster Konsumenten "safe", denn es wird in annähernd steriler Umgebung erzeugt. Teilweise werden bereits Ernteroboter eingesetzt. Mit oder ohne Roboter ist Vertical Farming besonders für diejenigen Mitmenschen attraktiv, die sich nicht gerne die Hände schmutzig machen.

Ergebnisse des Symposiums

Sind die beiden Ansätze zur Ernährung der Städte, also das High-Tech Vertical Farming zum einen und die Verringerung der Distanz von Konsumenten und Produzenten zum anderen, gegensätzliche Konzepte oder kann beides ein Ansatz zur Ernährung der global rapide wachsenden Stadtbevölkerungen darstellen? Dass in europäischen Städten zurzeit viele Projekte laufen, welche die Stadtmenschen wieder mit der Nahrungsproduktion in Verbindung bringen, zeigten die Ausführungen von Stefanie Kaiser von der Stadtentwicklung Basel und Annemieke Fontein vom Rotterdam City Development. Heidrun Moschitz vom FiBL meint: "Gefragt sind umfassende Konzepte und Strategien, in denen Städte – die Verwaltung gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Marktakteuren – die Verantwortung für Ernährungsfragen übernehmen. Städte wie Toronto, Vancouver oder Bristol machen es vor. Der von der Stadt Mailand initiierte Urban Food Policy Pact, der Mitte Oktober von über 40 Städten unterzeichnet wird, kann ein Schritt in diese Richtung sein."

Text: Franziska Hämmerli

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